Mit dem Zeichenstift zwischen Tradition und Fiktion
Am liebsten würde Emily Barthold sich ganz der Kunst widmen. Die aus den USA stammende Politik- und Literaturwissenschaftlerin kombiniert in ihren Comics mit viel Phantasie und Professionalität verschiedene markante Stilelemente aus modernen Manga und historischen Radierungen mit beliebten Figuren der sorbischen Sagenwelt. So entwirft die promovierte Germanistin neue Interpretationen von altbekannten sorbischen Traditionen, Trachten und Themen für das 21. Jahrhundert.Emily Barthold
Was ist für Sie Heimat?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich stamme aus den Vereinigten Staaten, habe dort Politikwissenschaften und Germanistik studiert. Schon damals interessierte ich mich stark für Europa und Deutschland und bin viel herumgereist. Während des Postgraduiertenstudiums in Washington DC haben mein Mann und ich uns kennengelernt. Wir haben wegen der Arbeit in Berlin gelebt, sind aber dort nie so richtig heimisch geworden. Seit Frühling 2021 leben wir in Cottbus. Hier gibt es alles, was man braucht. Der Wohnungsmarkt ist viel entspannter als in der Hauptstadt. Das Fahrradfahren im Spreewald und in der Spreeaue ist ein Traum. Und hier lebt die Familie meines Mannes. Also, was ist Heimat? Ich würde lieber die Frage beantworten, wo mein Zuhause ist. Denn mein Zuhause ist nun Cottbus.
Sie sind sorbisch, weil…?
Hier in Cottbus und der Umgebung ist die niedersorbische Kultur verwurzelt und von hier stammt die Familie meines Mannes. Seine Urgroßeltern haben Sorbisch noch als Muttersprache gesprochen. Er ist Sorbe, spricht ein wenig und lernt fleißig – niedersorbisch und auch obersorbisch. Er ist am Aufbau der Sorabistik an der TU Dresden beteiligt. Durch ihn habe ich die sorbische Kultur kennengelernt. Er hat ein Bewusstsein für sorbische Traditionen und Bräuche mit in unsere Beziehung gebracht. Bin ich also sorbisch? Ja, bin ich! Nach dem sogenannten Sorbengesetz ist diejenige Teil des sorbischen Volkes, die sich zu ihm bekennt. Und das tue ich. Ich lerne niedersorbisch, suche den Austausch mit anderen Menschen in der sorbischen Community und bin gern in der niedersorbischen Bibliothek, um mich zu informieren.
Wie reagiert das Umfeld auf Ihr Sorbentum?
Ich gehe respektvoll mit den sorbischen Traditionen um, lasse mich von den Trachten und deren Stickerei-Mustern, von Märchen und Sagen inspirieren. Die sorbische Community wertschätzt das. Bisher habe ich die Erfahrung gemacht, dass diese eine sehr gastfreundliche Gemeinschaft ist, die sich auf alle freut, welche sich für das Sorbische interessieren. Im Sprachkurs wurde ich willkommen geheißen. Und meine Kunst wird sehr gut angenommen.
Was bedeutet Erfolg in der Kunst für Sie?
Ich möchte es als Künstlerin schaffen, größere Aufmerksamkeit in und außerhalb der Lausitz für sorbische Themen zu erregen, seien es die Sagenfiguren, die Sprache oder auch die großen Herausforderungen, mit denen Minderheitenkulturen konfrontiert sind. Am liebsten würde ich intensiver meine Comics über den Spreewald zeichnen und diese dann veröffentlichen, am besten dreisprachig: auf Deutsch, Englisch und Niedersorbisch. Mit meinen Comics möchte ich sowohl jüngere als auch ältere Menschen ansprechen, denn dieses Medium, wie man es in Japan, in Frankreich und in den USA erlebt, ist definitiv auch für Erwachsene geeignet. Tatsächlich ist das, was ich zu erzählen habe, eher für ein erwachsenes Publikum gedacht. Aber um die Zeit zu haben, diese Geschichten aufs Papier zu bringen, hoffe ich, dass ich nach meiner derzeitigen befristeten Stelle an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg von der Kunst leben kann. Um diesen Traum zu realisieren, verkaufe ich Kunstobjekte hier in der Gegend, auf Comic-Cons und im Online-Shop. Zusätzlich bekomme ich Aufträge für künstlerische Arbeiten, zum Beispiel für ein neues Logo fürs Wendisch-deutsche Heimatmuseum in Jänschwalde oder für SNS-Cards für Buchhandlungen.
Welche sorbische Sage finden Sie besonders spannend?
Oh, da gibt es ganz viele: Die Sagen von den wilden Spreewaldfrauen, dem Irrlicht, dem Wassermann und seinen Töchtern, dem Schlangenkönig und vielen weiteren. Aber die Sage von der Mittagsfrau fasziniert mich momentan auf ganz besondere Art und Weise. Die Mittagsfrau erscheint an heißen Tagen und zwingt die Menschen bei Strafe des Todes, ihr Geschichten zu erzählen: Nach Ablauf der Ruhestunde zwischen zwölf und eins verliert die Mittagsfrau ihre Macht. Eigentlich kann man diese Geschichte als eine Art Aufforderung dazu verstehen, auch in Momenten der existentiellen Erschöpfung weiterhin schöpferisch zu sein.
Wie geht es weiter?
Ich werde weiterhin an meinen Comics zeichnen, niedersorbisch lernen und die Stadt Cottbus genießen. Wenn an manchen Tagen der kreative Schwung nachlässt, gehe ich mit meinem Mann in den Spreewald Fahrrad fahren oder ins Café Plinsen essen, spiele mit Freunden eine Session Dungeons & Dragons oder tausche mich mit anderen auf Instagram aus. So wird es mir nie an kreativen Ideen und Impulsen fehlen. Im besten Fall werden in nicht allzu ferner Zukunft meine “Spreeleuchten”-Comics als Buch oder Webcomic veröffentlicht. Damit möchte ich ein zukunftsorientiertes Bild der Niederlausitz und der niedersorbischen Kultur schaffen, das Menschen aus der ganzen Welt begeistern soll.