Unsere Kinder sollen Niedersorbisch wieder zu Hause lernen.
Maximilian Hassatzky lebt in Dešno / Dissen, einer 700-Seelen-Gemeinde im Landkreis Spree-Neiße. Hier auf dem elterlichen Hof unweit der Spreeaue erlebt der Chemiker, wie wichtig ein intaktes Mensch-Tier-Natur-Verhältnis ist. Nach seinem Masterabschluss in London entschied er sich ganz bewusst, in die Lausitz zurückzukehren. Er begann am neuen Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI) zu arbeiten. Dort beschäftigt er sich mit dem Transformationsprozess der Industrie hin zur Treibhausgasneutralität. Darüber hinaus engagiert sich Maximilian für das effektive Wiederbeleben der sorbischen Sprache und die Pflege der sorbischen Kultur.Maximilian Hassatzky
Was ist für Sie Heimat?
Meine Heimat ist für mich mein Dorf Dešno / Dissen. Hier lebt meine Familie, hier befindet sich unser Hof mit den Feldern, den Kühen und den Pferden. Hier befinden sich vor der einen Tür Spreeaue und Spreewald, vor der anderen Cottbus. Mit diesem Zuhause verbinde ich ein tiefes Gefühl der Vertrautheit. Ich bin fest in der Familie und in meinem Umfeld verankert.
Sie sind sorbisch, weil…?
Weil ich mich dazu bekenne. Und weil ich aus einer sorbischen Familie stamme. Mein Opa hat noch sorbisch mit mir gesprochen. Früher war mir jedoch nicht so klar, dass damit neben der Sprache auch eine Identität verbunden ist. Meine sorbische Identität. Die habe ich im Laufe der Jahre dazu gewonnen – oder eben auch zurückgewonnen. Das Witaj-Projekt war für mich der bestimmende Faktor. Meine Mutter hat mich auf Initiative meines Opas dort angemeldet. Ich habe es geschafft, für mich unsere Sprache, unsere Kultur, unser Selbstverständnis wieder zu entdecken und zu bewahren. Darüber bin ich sehr froh.
Welchen Einfluss hat das Sorbische auf Ihr Leben?
Ich bin Sorbe. Das bedeutet, dass das Sorbische mein Leben ist. Neben der privaten Pflege von Sprache, Kultur und Bräuchen engagiere ich mich ehrenamtlich in verschiedenen Bereichen.
Ich bin Mitglied des Bundesvorstandes der Domowina, in der letzten Wahlperiode auch im Präsidium. Nun möchte ich mich im Bildungsausschuss engagieren.
Beim Naturkundenzentrum Spreeaue e. V. beschäftige ich mich gemeinsam mit anderen Mitstreitern mit der Renaturierung der Spreeaue. Mit der Arbeitsgruppe versuchen wir, junge Leute, Vertreter der umgebenden Gemeinden und kommunale Akteure zusammenzubringen, um den Strukturwandel hin zum nachhaltigen Tourismus zu unterstützen. Wir wollen Touristenströme in den wunderschönen Natur- und Landschaftsschutzgebieten gezielt lenken.
Ein weiteres Herzensprojekt ist „Zorja“. Mit diesem Vorhaben wollen wir nichts Geringeres, als die niedersorbische Sprache zu revitalisieren. Niedersorbisch, gilt als schwerstbedroht. Zu wenige Menschen können die Sprache fließend sprechen. Und als Familiensprache besteht sie nur in seltenen Ausnahmefällen. Wir wollen und müssen unsere Sprache ganz dringend wiederbeleben.
Wie kann die niedersorbische Sprache bewahrt werden?
Das Witaj-Projekt setzt stark auf die Entwicklung der sorbischen Sprache bei Kindern und Jugendlichen, was enorm wichtig ist. Das Problem ist jedoch, dass die Kinder in der Niederlausitz keine große Gemeinschaft von Erwachsenen haben, die die Sprache außerhalb der Schule mit Ihnen sprechen. Die Sprache und vor allem Identität werden ihnen deshalb selten ganz vertraut.
Aus diesem Grund haben wir die Initiative „Zorja“ gestartet. Benannt ist unser Projekt nach der altslawischen Göttin der Morgenröte. Als Strategie verwenden wir die Immersion von jungen Erwachsenen. Das bedeutet, die Lernenden werden für ein Jahr in ein primär sorbischsprachiges Umfeld versetzt. Etwa zehn Erwachsene sollen so jedes Jahr die Möglichkeit bekommen, fast auf Vollzeit Niedersorbisch zu lernen. Dreißig Stunden in der Woche sind sie mit Aktivitäten zum Erlernen der Sprache und Kultur tätig. Erwachsene sind im Spracherwerb stärker zielorientiert als Kinder und können als Schlüsselfiguren in der Sprachgemeinschaft und als junge Eltern für Kinder ein Umfeld schaffen, in dem Niedersorbisch aktiv gesprochen wird. Das Projekt wird ab 2022 aus Bundesmitteln im Rahmen des Strukturstärkungsgesetzes gefördert. 2023 sollen die ersten Zorja-Teilnehmer starten.
Die Revitalisierung der sorbischen Sprache wird für die Lausitz positive Effekte haben. Das zeigen Erfahrungen anderer Minderheiten. So werden zum Beispiel soziale Bindungen gefestigt, Toleranz gesteigert und die regionale Verwurzelung gestärkt, was sich positiv auf die gesellschaftliche Entwicklung auswirken kann.
Sprache ist für mich der größte Hebel, die sorbische Identität zu erhalten. Aktuell verläuft die Revitalisierung der Sprache aber viel zu langsam. Das müssen wir wieder aufholen. Unsere Kinder sollen Niedersorbisch wieder zu Hause lernen.
Wie reagiert Ihr Umfeld auf das Sorbentum?
Durchweg positiv. Die sorbischen Bräuche auf dem Dorf sind ein wichtiger Impuls für die Kultur. Wir sind zwar eine kleine Volksgruppe mit kulturellen Besonderheiten, aber wir sind natürlich gleichwertige Bürger in diesem Land. Spannend war es bei meinem Masterstudium in London. In der britischen Metropole treffen Vertreter ganz verschiedener Minderheiten von überall her aufeinander. Da bin ich oft ins Gespräch gekommen und habe erklärt, wer wir Sorben sind.
In welcher Sprache träumen Sie?
Im Traum reflektiert man seine Wirklichkeit. Und da mein Alltag zu 90 Prozent deutschsprachig verläuft, träume ich auch in Deutsch. Ich glaube, für sorbische Träume ist einfach der Anteil an sorbischer Kommunikation noch zu gering.
Was ist für Sie das berührende Stück sorbischer Kultur?
Die Dichterin und Schriftstellerin Mina Witkojc ist eine Ikone der niedersorbischen Literatur und war ihrer Zeit in vielerlei Hinsicht voraus. Insbesondere ihr Gedicht „Cowanje“ („Traum“) motiviert mich in meiner Revitalisierungsarbeit. Mein Lieblingsmusikstück ist das alte Volkslied „Srjejź jsy stoj lipa zelena“ („Inmitten vom Dorf steht eine grüne Linde”).
Wann sind Sie glücklich?
Glücklich bin ich Zuhause, wenn die Tiere um mich herum sind und ich mit meinem Neffen oder Freunden sorbisch sprechen kann.